Herkunft
Der Nachzehrer ist eine vampirähnliche Figur, die seinen Opfern aus der Sicherheit seines Grabes heraus die Lebensenergie absaugt. Das Wesen ist in der Sagenwelt Zentral- und Osteuropas zu verorten.
Inhalt
Die Fähigkeiten des Nachzehrer
Im Gegensatz zum klassische Vampir Bram Stoker`s ist der Nachzehrer keine sehr erbauliche Erscheinung. Er lebt nicht einem feudalen Schloss. Seine Existenz fristet er in der feuchten Umgebung seiner letzten Ruhestätte. Der Tod eines Menschen ist Voraussetzung für das Entstehen des Nachzehrers. Nach der Beisetzung in seinem Grab erwacht er in eine untote Existenz. Von einem unstillbaren Hunger getrieben beginnt er an Kleidung und seinem Totentuch zu nagen und zu saugen. Auch beginnt er, sich selbst zu verzehren, um satt zu werden. Durch sein makabres Mahl wird seine Magie freigesetzt und er raubt die Energie der Lebenden.
Ähnlich wie der Draugr in skandinavischen Sagas findet er seine Opfer in der unmittelbaren Umgebung. Er entzieht Mitgliedern seiner ehemaligen Familie oder seines Dorfes langsam deren Lebenskraft. Manche Darstellungen sprechen auch davon, dass er seinen Mund öffnet oder eine Person mit dem bösen Blick anstarrt, um sich an ihr zu laben.
Seine Opfer wurden langsam schwächer, bis sie schließlich starben. Zusätzlich wurde ihnen nachgesagt, dass ihr Wirken Seuchen heraufbeschwören kann. Es ist kein Zufall, dass die Figur des Nachzehrers während der großen Pestepidemien des europäischen Mittelalters besonders populär war.
Sein Aussehen
Sein Aussehen wird als leichenhaft beschrieben. Es steht eng mit dem Thema von Tod, Verwesung und Krankheit in Verbindung. Die Annahme, dass sich das Wesen selbst verzehrt, entwickelte sich nach dem Öffnen von verdächtigen Gräbern. Der freigelegte Leichnam zeigt oft Spuren, die Aasfresser hinterlassen hatten. Da der Nachzehrer sein Grab nicht verlässt, spielt das Erscheinungsbild in der Folklore eine eher untergeordnete Rolle.
Wie man Nachzehrer wird
Die Entstehung eines Nachzehrers steht in direkter Beziehung mit seinem Vorleben.
Überlieferungen berichten über eine Vielzahl von Gründen, die zur Entstehung eines Nachzehrers führen:
- Selbstmord
- Tod durch Krankheit
- Unfalltod
- Mordopfer
- Tod im Kindbett
- Begehen von Sünden
- Körperliche Behinderung
- Physische Deformationen
- Rote Haare
- Außergewöhnliche Augenfarbe
Bei Betrachtung dieser breiten Palette an Umständen liegt eine Annahme sehr nahe. Es reichte, im Leben in irgendeiner Art von der gängigen Norm abzuweichen. Dadurch war ein potentieller Kandidat für eine Existenz als Nachzehrer. Die Figur verfügt somit auch über eine Komponente als gesellschaftliches Korrektiv. Entsprich der Norm, sonst belastest du deine Gemeinschaft über den Tod hinaus.
Tod den Untoten!
Die Existenz eines Nachzehrers wurde in mittelalterlichen Dorfgemeinschaften als reale Gefahr betrachtet. Zum Schutz vor dem Untoten wurde auf eine Reihe mannigfaltiger Maßnahmen zurückgegriffen. Bereits während der Beisetzung schloss man den Toten die Augen und den Mund. Letzteren auch gerne einmal mit einem Stein oder Ziegel – sicher ist sicher. Auch eine Bestattung mit dem Gesicht nach unten galt als probates Mittel, um dem Nachzehrer Herr zu werden. Geheiligte Symbole wie kleine Kreuze wurden mit dem Toten bestattet, um üble Magie abzuwehren. Auch von Fesselungen – teilweise symbolisch mit einem Rosenkranz – berichtet man.
Bei Versagen der präventiven Maßnahmen wurden drastischere Mittel ergriffen, um den Nachzehrer zu vernichten. Als sicheres Anzeichen, dass sich ein Toter wieder „erhoben“ hatte galten Laute, die aus dem Grab drangen. Geräusche, die während des Verwesungsprozesses entstehen können, wurden als Schmatzen oder Kratzen des Untoten interpretiert. Umgehend wurde ein verdächtiger Leichnam exhumiert.
Um dem Spuk ein Ende zu bereiten, verendeten die „Vampirjäger“ verschiedene Methoden. Der Tote wurde durch das Herz gepfählt, oder ihm wurde selbiges herausgeschnitten. Auch das Köpfen galt als nachhaltige Maßnahme. Eines wird offensichtlich: Die Nachzehrer – Jagd war nichts für Zartbesaitete.
Der Vampirjäger der Kaiserin
Auch wenn die Überschrift an ein Spin-Off zu Abraham Lincoln: Vampire Hunter erinnert. Die Angst vor Nachzehrern, die die Lebenden heimsuchten ist historisch verbrieft. Um 1725 gelangen erste Berichte von Wiedergängern aus dem östlichen Teil des Habsburgerreiches an das Ohr der Kaiserin Maria Theresia. Um1755 erzählen die Berichte von einer wahren Lawiene an Vorfällen. Lokale Behörden bestätigten die Umtriebe der Untoten. Um eventuellen Revolten zuvorzukommen reagierte die Kaiserin. Gerard von Sweeten, der Leibarzt der Regentin, wurde mit der Aufgabe betraut, den Umtrieben auf den Grund zu gehen.
Mit dem Geist der Aufklärung im Gepäck werden erfahrene Ärzte in die betroffenen Gebiete gesandt. Diese stellen gründliche Nachforschungen vor Ort an. Die Ergebnisse fasste Van Sweeten in einem wissenschaftlichen Bericht zusammen. Auf seine Empfehlung hin wurde die Existenz der Untoten von kaiserlicher Seite als Aberglauben kategorisiert. Per Erlass verbot Maria Theresia alle Maßnahmen zur Bekämpfung des Schreckens aus dem Jenseits. Ein Zuwiderhandeln wurde nicht geduldet und gerichtlich geahndet. So endet die „Vampir- Epidemie“ im Habsburgerreich.
Der Nachzehrer bleibt im Grab
Im Gegensatz zu vielen anderen Figuren des Volksglaubens hat es der Nachzehrer nicht zu lange anhaltendem Ruhm geschafft. So findet sich keine erwähnenswerte Repräsentation der Figur in aktuellen Erzählungen.